Delhi -> Shimla – eine spezielle Busgeschichte

15. – 16. September 2023

 

 

Wie im vorherigen Post angekündigt, gibt es hier eine Geschichte, wie ich sie in dieser Form in meinen 31 Indienjahren noch nicht erlebte. Die Kurzform ist diese: wir hatten eine falsche Information zu Abfahrtsort und -zeit eines Nachtbuses nach Shimla und bemühten uns, diesen trotzdem rechtzeitig zu finden. Was da genau passierte ist es wert, detaillierter beschrieben zu werden.

 

Phase 1: Orientierung und Erkenntnis

Laut Internet und Busticket sollte dieser um 21:00 bei der Metrostation RK Ashram Marg abfahren. Also trafen wir dort ca. 25 min vorher ein und bemühten uns um Orientierung. Es war dunkel, es war heiß, es war laut und es war voll. Menschen, Autos, Rickshaws knäulten sich um die Metrostation und auf den ersten Blick fanden wir keinen Ort, wo noch ein großer Bus hätte parken können. Aber man weiß ja nie, auf was für Ideen man in Indien kommt und so vertrauten wir der Info und starteten die Suche nach dem Bus. Dabei fragten wir diverse Inder (hier ist die männliche Form immer angebracht, es liefen uns keine Frauen über den Weg) und diese gaben immer Auskunft. Inder geben prinzipiell immer Auskunft – nur ist diese oftmals nicht richtig. Entweder wissen sie es nicht und wollen einem höflich nicht mit einem Achselzucken stehen lassen oder sie wittern einen eigenen monetären Vorteil und wollen einem was verkaufen. Wir wurden hierhin und dorthin geschickt und bekamen Rickshawfahrtangebote für einige 100 m, wo der Bus sicherlich sein würde. Erkenntnis: niemand scheint sich hier wirklich auszukennen.

 

Phase 2: Telefonate

Nächster Schritt: die angegebene Hotline anrufen. Das war schwierig wegen der Umgebungslautstärke und Verständigungsschwierigkeiten. Zeitweilig war mir nicht klar, ob der Mensch am anderen Leitungsende englisch sprach und mich verstand. Ich verstand ihn jedenfalls nicht wirklich. Ab wann gibt man so ein Telefonat auf? Oder würde man irgendwie doch noch eine gute Auskunft bekommen? Ich beendete es irgendwann und rief Prashant an, der uns das Ticket besorgt hatte. Den verstand ich am Telefon besser. Er musste aber auch erstmal recherchieren. Auf der Suche nach einem ruhigeren Ort fiel mir ein Gebäude auf, in dem sich lauter kleine Büros von Busgesellschaften befanden. Unsere war nicht darunter, aber ein hilfswilliger Herr. Er offerierte sein ruhigeres angenehmes Büro und half mit Telefonaten. Inzwischen hatten wir sogar eine Busfahrer-Nummer bekommen. Die englischsprachige Verständigung war schwierig, der Büromann witterte ein Geschäft und leitete die Info weiter, dass der Busfahrer schon losgefahren sei und 20 km entfernt und er könne uns einen Bus von ihm anbieten, der würde in 1,5 Std. abfahren. Wir durchschauten seine Absicht und telefonierten weiter und blieben aber durchaus freundlich miteinander. Endlich – es war schon nach 21:00 Uhr – hatte Prashant alle Infos beisammen: der Bus hatte nie vor, ab RK Ashram Marg zu starten sondern stehe beim riesigen Bushof Kashmir-Gate und würde um 22:00 losfahren. Das sei nur 6 km entfernt und eine Rickshaw eine gute Idee, kurz vor Ankunft sollten wir den Busfahrer anrufen, Handy an den Rickshawfahrer geben und er würde ihn zur richtigen Stelle leiten. Das klang einfach und gut.

 

Phase 3: die Rickshawfahrt

Da ich auf der Hinfahrt keine Verkehrsprobleme hatte und nur direkt die nahe Umgebung der Metrostation relativ voll wirkte, bestiegen wir hoffnungsvoll nach Preisverhandlungen eine Rickshaw und starteten los. Keine Ahnung, ob es Alternativen gab, die der Fahrer nicht kannte, aber er fuhr mitten hinein in ein unglaubliches Knäuel von Menschen, Transportgefährten ohne Motor, Transportgefährten mit Motor und eingepackten großen Waren. Diese wurden transportiert (auf den Gefährten oder Menschenköpfen) und aus- und eingeladen. Die Straße war eng und alles bewegte sich millimeterweise voran, aber in verschiedene Richtungen wodurch noch mehr Verknäulung statt fand. Man versuchte sich mit lautem Hupen durchzusetzen. Es war heiß. Ich schwankte zwischen zeitlicher Unruhe, dem Ärgern über die Busagentur, dem sinnlosen Infragestellen von Entscheidungen, Alternativplangedanken und mitleidigem Gestaune, was Menschen für Leben führen müssen. Täglich in diesem Konglomerat von Hitze (dabei waren wir weit entfernt von Spitzentemperaturen von 45°C), Lärm und mieser Auspuffluft für viel zu wenig Geld zu schuften, um der Familie ein paar Chapatis mit Reis bieten zu können. Ich war in dieser kurzen gefühlten Ewigkeit schon am Rande meiner Kräfte.

 

volle Straße

 

Phase 4: Bussuche

Ich blieb weiterhin in Kontakt mit Prashant. Irgendwie schien der Busfahrer gewechselt zu haben, es gab eine neue Nummer. Und dann hatten wir tatsächlich die Verknäulungen hinter uns gelassen und befanden uns im riesigen Areal des Kashmir Gate. Dort gibt es einen normalen Bushof mit Platformen, wo Busse halten, aber es ist zu klein und viele viele Busse stehen in den Straßen drumherum am Rande und warten dort auf die Passagiere. Wie also unseren finden? Ich erreichte den Busfahrer und gab das Handy unserem Rickshawfahrer. Der bekam es aber mit der Angst zu tun, darüber kommunizieren zu müssen und weigerte sich. Er fragte diverse Leute und man schickte uns hierhin und dorthin. Kein korrekter Bus zu sehen. Ich versuchte es weiterhin mit dem Busfahrer – dem sein Handy war allerdings oft besetzt. Irgendwann waren wir dann doch erfolgreich und ich zwang dem Rickshawfahrer das Handy ans Ohr und das funktionierte. Allerdings war ihm trotzdem nicht so 100% klar, wo er hin sollte – das Gebiet ist aber auch extrem unübersichtlich. Inzwischen war es 22:00 Uhr, aber Prashant versicherte uns, dass der Bus auf uns warten würde. Und dann sah ich ihn! Einen Bus von der richtigen Busfirma! Er tauchte einfach am Straßenrand auf! Er hatte allerdings das falsche Kennzeichen. Aber einmal um ihn herum geschaut und da war tatsächlich unser Bus!

 

Endphase: Abfahrt

Wir stiegen ein, sanken in kühler Aircondition auf die sehr verstellbaren Sitze und wunderten uns, dass wir es tatsächlich geschafft hatten. Was für eine Verkettung von Erlebnissen und Menschen und Entscheidungen! Auch wenn z.B. die Rickshawfahrt einerseits ein Fehler war wegen der Verknäulungsstrecke und die Metro sehr viel schneller gewesen wäre, hatten wir doch Glück mit dem Fahrer, der trotz allem nicht aufgeben sondern uns zum korrekten Bus liefern wollte. Ohne Zusatzgeld zu verlangen. Oder uns einfach gezwungen hätte auszusteigen weil, das angegebene Ziel Kashmir Gate hatte er ja erreicht.Und was für ein Gefühlswirrwar währenddessen in mir passierte mit Hoffnung, Ärger, Aktion, rationalem Nachdenken, zusammennehmen, Mitleid, Schuldzuweisungen, Dankbarkeit für Hilfestellungen, Aggressionen auf die Lautstärke (insbes. sinnloses Gehupe), Vertrauen, dass es sich doch irgendwie ausgehen würde und Erleichterung, es nicht allein durchstehen zu müssen. So eine intensive Zeit wie die zwischen Metrostationsankunft und Buseinstieg hatte ich schon länger nicht mehr erlebt. Außerdem ist es mir weiterhin ein Rätsel, warum die falsche Abfahrtsinfo im Internet und auf dem Ticket standen.

 

Der Busfahrer gehörte zu der Sorte „Maniac“, die wie verrückt über die Straßen brettern, dass einem Angst und bange werden kann. Aber meine Gefühle waren sowieso aufgebraucht und ich döselte ich tatsächlich manchmal ein. Und irgendwann zwischen 7:00 und 7:30 waren wir tatsächlich in Shimla auf 2.000 m Höhe. Die Luft war angenehm kühler und frischer, es war leiser und wir genossen erstmal Kaffee mit Breadomlette.

 

Frühstück

 

Würden wir nun zu einer Art Reiseruhe kommen? Ich kann jetzt schon sagen: nicht so ganz…..