Nagaland: Hornbill-Festival – ein Schwein spendet sich selbst

3. + 4. Dezember 2025

 

 

Um zum Highlight der Reise zu kommen, brauchten wir noch einen Fahrtag, bei dem wir in Dimapur diese Ruinen der Kachari Kultur besichtigten. Mir waren diese ganzen Kulturen inzwischen sowieso zu viele in zu kurzer Zeit und die Besichtigung beschränkte sich somit eher nur auf ein Staunen, was für interessante Gebilde (ca. 100 Stück) hier herumlagen und -standen. Deren Geschichte ist auch nicht bekannt, also wofür sie genau genutzt wurden und wie das früher wohl mal ausgesehen haben mag. Die meisten waren eingezäunt, aber einige auch begehbar – und dann verstand man die Einzäunung leicht. Wieso haben so viele Menschen einen Drang, sich oder sonstwas irgendwo zu verewigen?

 

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Man merkte, dass Weihnachten naht. Es wurden immer mehr Weihnachtsbäume aufgestellt.

 

besonderes Exemplar

 

Und dann war es endlich soweit: ein ganzer Tag Hornbillfestival!

 

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10 Tage lang wurden tägliche Shows von ca. 2 Stunden in der Arena geboten, in den Hütten nebenan die jeweilige Kultur ausgestellt. Einerseits schien mir die Stimmung sehr freundlich und fröhlich, andererseits hat es mich überhaupt nicht begeistert.

 

Fotografiererei/Filmerei

Ich hätte meine Kamera auch stecken lassen können, aber ich kam mir doof vor, ohne Bilder heimzukommen. Andere knipsten und filmten wie verrückt – und das ist auch gleich einer meiner „Kritikpunkte“. Für viele Besuchende schien es mir ein reines visuelles Fest zu sein, von dem man Unmengen an Material für Social Media (man findet auch im Internet viel davon), die heimischen Fotoalben oder sonstigen Sammlungen produzieren konnte. Hauptaugenmerk: Exotik. Die traditionell gekleideten Leute posierten und posierten und lächelten im Selfie-Modus und waren beim Tanzen umringt von festhaltenden Kameras.

 

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Den letzten Herrn hier habe ich gefragt, ob er das tatsächlich den ganzen Tag mache und gar nicht müde sei. Ja, einen Tag lang sei er dran, am nächsten jemand anderes. Ich lächle ja auch meistens, wenn ich merke, dass eine Kamera auf mich gerichtet wird und für bestimmte Zwecke kann ich auch längere Zeit posieren, aber wirklich lange klappt das nicht gut, dann setzt Unlust ein. Umso mehr beeindruckte mich die nicht nachlassende Fotobereitschaft vieler auch nach Stunden noch.

 

Auch die Fotolust der Besuchenden fand ich bemerkenswert. Aber diese Schwierigkeit / dieses Unverständnis trage ich schon lange mit mir herum:

  • was möchte man mit Bildern, die zig andere auch machen?
  • was möchte man mit Bildern, die von der Visualität des Motivs leben (wie auch Bildern von Sonnenuntergängen – der Sonnenuntergang ist beeindruckend, das Foto davon „keine Kunst“)

Und hier bin ich dabei zu filmen – aufgenommen vom örtlichen Sender:

 

Screenshot

Exotik <=> Tradition

Beim.Hornbill waren 18 verschiedene Nagastämme vertreten. Jeder hatte seine eigene traditionelle Kleidung – die der Männer wesentlich prachtvoller als die der Frauen. Einerseits ist es nun mal traditionell und ich finde es auch gut, dass das nicht vollkommen in die Klamottenkiste gesteckt wird, andererseits zeigt es immense Exotik, da es optisch weit entfernt ist von Alltagskleidung. Farben und Formen der Beschmückung waren vielfältig und auch prächtig anzuschauen. Eigentlich hätte mich interessiert, wann man das heute sonst noch trägt, was es für die Leute bedeutet, wie sie es empfinden, so auffällig auszusehen, wie sind die Geschichten hinter den jeweiligen Details usw. Ich habe diese Fragen nicht gestellt, ich wusste nicht, wann und wem und wie.

 

Ich glaube, ich habe sowieso meine Berührungsschwierigkeiten mit Exotik. Ich habe für mich noch keinen guten Umgang damit gefunden. Ich glaube, mir fehlt ein Gespräch. Vielleicht sollte ich mal aktiver danach streben. Und eigentlich hätte ich mal fragen können, wie es anderen damit geht. Es macht mich offensichtlich stumm.

 

Hier ein paar Bilder mit Exotik:

 

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Detail (die Geschichte dessen hätte mich wirklich interessiert – vielleicht bekomme ich es noch raus)

 

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Schuhwerk war übrigens auch interessant und teilweise etwas lustig. Ich mochte es, wenn man Schlappen mit Socken dazu trug. Je später der Nachmittag, desto mehr wechselten ihre Kleidung oder verließen das Festival – jedenfalls war immer weniger Exotik zu sehen. Kein Wunder – es wurde ziemlich kühl und die Kleidung war nicht temperaturgerecht.

 

Abends gibt es übrigens immer noch ein Internationales Rockfestival in der Arena. Kritische Stimmen finden das sehr unpassend.

 

Ein weiteres Thema zu Tradition: Religion. Traditionell hatten sie einen anderen Glauben und waren nun fast alle christlich. Wie feiert man da was? Es gab einen Horntrötwettbewerb und ein wohl wichtig-wichtig-Mann hielt dazu eine Ansprache. Er sagte, das Hornbillfestival hätte ja zwei Wichtigkeiten: a) die gemeinsamen Begegnungen und b) die Ehre von Gott. Dann forderte er das Publikum auf, ihm im Chor alles nachzusprechen. Ich ärgerte mich sowas von, dass ich die Kamera nicht an hatte. Und fand es extrem befremdlich, die exotisch-traditionell gekleidete Menge vielstimmig „Praise the Lord“ und noch so mehr Kirchen“slogans“ zu rufen.

 

Diese Szene steht für mich exemplarisch für mein Unbehagen.

 

Begegnung

Es heißt: Das Hornbill Festival wurde 2000 vom Staat Nagaland initiiert, um die traditionellen Kulturelemente der Naga-Stämme zu bewahren, inter-tribale Begegnung zu fördern und Tourismus/ Einkommensmöglichkeiten zu schaffen. Sichtbar waren für mich die inter-tribalen Begegnungen nicht – das hätte ja bedeutet, dass unterschiedlich traditionell gekleidete zusammen gesessen hätten. Sie blieben aber jeweils unter sich. Vielleicht fand das „hinter den Kulissen“ statt. Aber auch die Begegnung von BesucherInnen und Nagas schienen mir nicht viel über Fotos und der Austausch von Oberflächlichkeiten hinaus zu gehen. Wobei ich mich ja definitiv mit einreihen kann.

 

Viele Tage später merke ich, dass ich a) entweder nie wieder dorthin wollte oder b) es ganz anders angehen würde/müsste, nämlich mit anderen Begegnungen und Gesprächen. Aber sowas muss bei mir auch erstmal durchsacken. Währenddessen kann ich nur Reaktionen feststellen – und die waren so, dass ich mich nicht sonderlich wohl fühlte.

 

Hier noch ein paar weitere Impressionen vom Gelände:

 

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20 (Nagaland ist ein alkoholfreier Bundesstaat – außer beim Hornbill…)

 

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Wirtschaftlichkeit

Das Hornbill Festival generiert gutes Einkommen in den 10 Tagen. Besuchende schlafen, essen, trinken, fahren, kaufen Souvenirs – und sind teilweise durch örtliche Reiseagenturen organisiert. (Mich erinnert das an den Biathlon Weltcup in meinem Wohnort. Da konzentriert sich auch ein sehr großer Teil der touristischen Einnahmen in dieser einen Woche.)  Während des Hornbills gibt es viele Verdienstmöglichkeiten – sogar die Straße zwischen Kohima und dem Festivalgelände wird ja neu gebaut. Aber es sind überwiegend nur kurzfristige Verdienste, nichts was einem wirklich über das Jahr hilft.

 

Für Nagaland ist das Hornbill inzwischen ein enormer Wirtschaftsfaktor, wobei die Veranstalterausgaben relativ gering sind. In ganz Indien gibt es nur sehr wenige Festivals, die mit so wenig Besuchern so viel lokale Wirtschaft erzeugen (z.B. braucht die Pushkar Fair wesentlich mehr BesucherInnen für gleiche Zahlen).

 

Eine Unterhaltung mit ChatGPT zu diesem ganzen Thema ist hoch interessant, aber mir hier zu viel, wiederzugeben. Wer da mehr wissen mag: ich kann es nur empfehlen. Mir wird dadurch einiges klar.

 

Bei einer Nagagruppe fand ich dieses Schild mit SpenderInnen für die Verbesserung des Morungs. Und dabei am interessantesten den letzten Spender, dem Schwein.

 

Spendertafel

 

Gibt es ein Foto, welches ich gemacht habe, was ich mehr mochte als die anderen? Ja – und zwar dieses:

 

Kiosk

 

Fazit für mich

Ich bin froh, dass ich dort gewesen bin, um einen eigenen Eindruck zu bekommen. Der stimmte tatsächlich prinzipiell eher mit dem überein, was ich mir vorher vorgestellt hatte. Außer dass ich alle als freundlicher wahrgenommen habe. Für mich ist es eine gute Veranstaltung zum Nachdenken und Diskutieren, aber keine, an der ich mich einfach nur freue. Und ChatGPT ist die beste Infoquelle (die aber unbedingt mit persönlichen Gesprächen erweitert werden müsste). Und: Nachbereitung klappt bei mir besser als Vorbereitung. Ich muss immer erstmal wo gewesen sein, um gezielteres Interesse zu entwickeln. Blöd für Jobs als Reiseleitung.