Am nächsten Tag erspähe ich hinter eine Gebäckauslage Pechmarie. Sie ist Herrscherin in einem knallroten Reich. Alles ist rot: Wände, Tischdecken, Colareklame, Serviettenhalter und Servietten, Geschirr, Vorhang zur Backstube. Nur Pechmaries Haare sind schwarz. Schwarz wie ihr morgendliches Gemüt. Mit stoischem Gesichtsausdruck nimmt sie meine Bestellung auf. Der Khatchapuri wird in der Mikrowelle erhitzt, das Wasser für den Nescafe im kleinen Wasserkocher. Beim Servieren ist sie schon ein bisschen freundlicher. Musik knallt in Wahnsinnslautstärke durch den Laden mit den drei Tischen. An einem Tisch ein einsamer Herr, der sich gegen einen anderen mit Schnauzer austauscht, der in Mütze und Jacke sein Gebäck muffelt. Nebenan zwei Freundinnen von Pechmarie, die bei einer Zigarette ihren Kaffee trinken. Die Musik wechselt ständig: Geopop, westliche Discomusik und seichte Klassik. Zwischendrin kommt eine Dame in Leopardenmuster mit Feudel und wischt den Boden zu genau einem Viertel. Die Rhythmen werden flotter. Pechmarie tänzelt. Leopardenmuster singt „Bamboleo, Bambolea“. Die Herren haben gewechselt, der erste sitzt jetzt wieder einsam an seinem Platz. Hinter ihm in einer Nische ein Regal mit Maria und Jesus auf Papier, darunter ein Blumenarrangement, im Topf davor eine Minipalmenart. Der Khatchapuri ist verzehrt, der Kaffee ausgetrunken, die 8:30 an der Eingangstür merk ich mir für morgen!
Pechmarie heißt übrigens in echt Nana, also genauso wie ich. In meinen 44 Jahren hatte ich bis dahin nur eine einzige weitere Nana kennengelernt. Laut einem georgischen Bekannten heißen 1/3 aller Georgierinnen Nana. Im 400. Jahrhundert gab es eine Königin Nana, die einer heidnischen Religion angehörte. Sie wurde einmal sehr krank und eine christliche Heilerin namens Christina kam und kurierte sie, was sie veranlasste, zum Christentum überzuwechseln. Nachdem auch König Mirian ein Wunder geschah, wurde er ebenfalls ein bekehrter Christ und das Christentum Staatsreligion in Kartlis, einem Teil des heutigen Georgiens. Und kleine weibliches Babies werden gerne nach der Königin auf den Namen Nana getauft.