Karakol – Fotografie, Weite und Menschen

2., 6. + 7. Juli 2023

 

 

Ich denke, dass mich als Reiseveranstalterin u.a. ausmacht, dass ich so viel selber kenne von den Gegenden, die ich anbiete. Und wo ich nun auch noch mein Angebot um neue Länder erweitert habe, muss ich diese ja noch gut entdecken. Aber da ich gleichzeitig auch arbeite, ist es unterwegs immer so eine Mischung aus erkunden und dokumentieren. Überhaupt finde ich das ständige Neuentdecken anstrengend, wenn es zu lange dauert. Bei monatelangem Unterwegssein immer wieder Neues zu erleben ist zu viel. Und so nutze ich diverse Tage, wo ich nicht viel Neues mache. Obwohl – es bleibt nicht aus, dass ich doch Sachen erlebe, was lerne, kommuniziere, entdecke. Ich mag nicht 24 Stunden im Zimmer hocken und jedes Rausgehen birgt Überraschungen oder einfach nur ein Hinzufügen von Details.

 

In Karakol war ich bei meinem vorherigen Besuch schon länger gewesen. Es ist eine angenehmere Stadt als Bischkek, höher gelegen und somit kühler im Sommer, es hat sehr viel weniger Autos und damit bessere Luft und die Berge und der See sind ganz nah. Wobei – schön ist Karakol auch nicht wirklich. Aber idealer Ausgangspunkt für Entdeckungen. Ich wollte allerdings nur eine Sache entdecken, nämlich Altyn Arashan – und dann in den Westen Kyrgyzstans, der mir noch völlig unbekannt ist. Im August komme ich im Rahmen der Entdeckerreise noch einmal her.

 

Und jetzt blieb ich doch ein wenig länger als gedacht, weil mich nach dem Ausflug einiges an Arbeit erwartete.

 

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Seit ca. 2003 hatte mich die Fotografie gepackt. Es wurde eine große Leidenschaft, die in Millionen Bildern mündete. Ich versuchte verschiedene Techniken (analog, digital, Spielzeugkameras) und hatte meistens das Ziel, Serien zu produzieren, die für mich eine Art visuelle Essenz darstellten von einem Ort oder einem Thema, welches mich beschäftigte. Gerade auf Reisen war ich bestrebt, mit Hilfe der Kamera immer einen Schritt weiter in meiner Neugier zu gehen, mich zu legitimieren, dichter am Geschehen zu sein.

 

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Oftmals reichten mir meine Bilder nicht und ich fügte Worte hinzu – so auch wie hier im Blog. Allerdings merkte ich seit einiger Zeit, dass ich nicht mehr so wild dahinter her war. Ich war unzufrieden mit vielen Ergebnissen, sah nicht, was ich mir zu sehen (und abzubilden) vorstellte. Hört sich blöd an, aber ich habe auch Kameraschwierigkeiten – meine alte war mir zu schwer geworden und bei den neuen Systemkameras habe ich noch nicht das gefunden, was mir wirklich taugt. Auch mochte ich gar nicht mehr so gerne Leute knipsen. In Indien sind die Leute prinzipiell sehr aufgeschlossen und freudig, was Bilder von ihnen angeht – in anderen Ländern nicht. Und das ist dann blöd.

 

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Für meine Reisewebseite und das Material, was ich Kundschaft schicke, brauche ich aber auch Bilder – ein willkommener Nebengewinn, dass ich immer meine eigenen Bilder hatte für die Bebilderung. In Tbilisi, als ich die tollen alten Häuser sah, hatte ich einen Konflikt. Ich fand das einfache abbilden zu banal, 3-4 hübsche Bilder hätten mir für eine Tbilisi- oder Georgien-Serie gereicht. Ich nahm die Kamera auf meine Streifzüge gar nicht mehr mit, sondern nutzte das Handy um mir quasi eher Notizen zu machen. Und hier in Kyrgyzstan merkte ich, wie es mir gefällt: nicht mehr hinter großartigen Motiven und Serien hinterher zu sein, sondern nur noch Notizen zu machen! Und natürlich die Webseiten- und Blogbilder. Interessanterweise fühlte ich mich erleichtert. Nach 20 Jahren dominierender Fotografieleidenschaft habe ich davon losgelassen. Und lustigerweise in Karakol doch noch eine Art Serie produziert und für Kyrgyzstan insgesamt ist mir auch noch etwas eingefallen. Aber ich habe das Gefühl, dass jetzt Platz ist für Neues. Bilder werden sicherlich weiterhin dabei sein, aber es ist inhaltlich anders geworden und damit geht es mir gut. Aber irgendwelche Projekte (wohl auch mit Bildern) werde ich sicherlich weiterhin produzieren – jetzt ist dafür neuer Platz.

 

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Also zurück zu Karakol. Es hat hier sehr breite Straßen, die überwiegend schachbrettartig angelegt sind. Manche sind asphaltiert und viele Staubstraßen. Es gibt viele alte Autos und man sieht auch manchmal beim Spazieren, wie eines absäuft und man dran rummachen muss, dass es wieder fährt und Männer sind dabei, Autos zu reparieren. Und ich, die so gar nicht in Autos interessiert bin und sie auch auf Fotos selten attraktiv finde, habe hier eine kleine Autoserie produziert. Manchmal überrasche ich mich.

 

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Außerdem dachte ich an Kyrgyzstan als eine Serie mit jeweils viel Platz und kleinen Menschen drin. Ob es nun die weite Landschaft ist oder die weiten Straßen, die imposanten Berge oder die imposanten Sowjet-Gebäude, „der Mensch“ kommt mir klein vor. Und so produzierte ich auch hier einige Bilder dazu:

 

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Gewohnt habe ich zuerst in einem Guesthouse eines kirgisisch-niederländischen Paares wobei ich den niederländischen Teil nicht kennenlernte. Die kirgisische Frau sprach interessanterweise viel besser deutsch, was sie in der Schule hier gelernt hatte und kaum englisch. Nach meiner Rückkehr aus Altyn Arashan hatten sie nur noch 1 Nacht ein Zimmer und ich siedelte um zu einer kasachischen Familie in einem sehr großen Haus bzw. es sind mehrere Gebäude und ein Garten mit Gemüse und Hühnern. Sie haben gerade Besuch von der Verwandtschaft aus Bischkek und massig Betten, die zu dritt bis fünft in Räumen stehen. Es ist sehr günstig, die Rezensionen bei booking.com sind sehr gut, die Familie sehr nett, aber ich bin hier ganz alleine als Gästin. Seltsam.

 

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Außerdem hatte ich hier noch eine Verabredung, die ich gestern traf. Alina ist aus St. Petersburg mit Mann und Kind geflohen und hatte Olga kennengelernt, die uns beide zusammen brachte. Alina erzählte, dass sie ca. 500 RussInnen sind in Karakol. Direkt mit Kriegsbeginn oder bisschen später sind viele Leute weg, weil sie die Zustände daheim nicht mehr ertragen. Postsowjetische Länder boten/bieten erstmal einen guten Anlaufpunkt, man erreicht es leicht, es ist nicht zu teuer. Aber so wirklich zufrieden sind nicht alle hier und so wie es Olga nach irgendwo in Europa drängt sieht auch Alina dieses nur als Zwischenstation. Sie arbeitet online selbständig hauptsächlich (noch) für russische Kundschaft und wird in Rubel bezahlt. Dieser verliert allerdings immer mehr an Wert und sie sucht anderweitig Kundschaft. Sie und ihr Mann spielen in einer Band – Punk mit auch traditionellen Instrumenten – sie ist Bassistin. Sie sind (noch) nicht so berühmt, haben aber Auftritte, z.B. gibt es eine kleine Tournee im September. Die Bandmitglieder sind alle verstreut, manche geflohen, manche noch in St. Petersburg, einer in Moskau. Aber sie schaffen es, sich zu organisieren.

 

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Ich finde es hochinteressant, dass ich hier (und auch mit Nikita in Batumi) noch mit so ganz anderen Lebenswelten in Kontakt komme, die definitiv auch dazu gehören. Also zu den Ländern, wo ich gerade bin. Alina hatte noch keine Bekanntschaft mit Polizei oder KGB gemacht, als Band sind sie zu unpolitisch bzw. auch zu klein – aber sie bewegen sich trotzdem eher in so „Anarcho-Kreisen“ und da ist Vorsicht angesagt. Sie denkt, dass sie eher nicht wieder nach Russland zurückkehren wird sondern sucht nun mit ihrem Mann einen Ort, wo sie das Gefühl bekommt, sich wirklich niederlassen zu wollen. Jedenfalls für längere Zeit. Ihr Mann hat noch eine Firma in St. Petersburg, was er gut von woanders aus managen kann, aber schon manchmal hin muss. Jetzt ist er gerade da mit Sohn, damit der auch mal wieder die Großeltern sehen kann. Was für ein anderes Leben und andere Sorgen! Aber was dabei auch wieder positiv ist: sie sind vernetzt und halten zusammen. Also die, die Russland den Rücken zugekehrt haben. Und das ist ein gutes Gefühl.

 

Karakol hatte z.T. tolles Licht und ich habe auch andere menschenleere Bilder bzw. Notizen gemacht:

 

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Und 1 Nachmittag war es bewölkter:

 

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Und dann gibt es noch sie ganzen kleinen Seltsamigkeiten, die man bei so Spaziergängen sieht. Wer hatte jemals warum diese Idee, dass es super ist, ein Foto von einem leidend aussehenden Kind beim Haareschneiden zu machen und dieses als Poster zu gestalten und den Friseursalon damit zu bewerben?

 

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Ach, es gibt noch so viel mehr Gedanken und Notizen. Z.B. war eine Straße voll mit großen Möbelgeschäften/-lagern. Für mein Auge gab es dort nur Hässlichkeiten und Fadigkeiten zu kaufen.

 

Möbelgeschäft

 

Und so gewinnt meine Zeit in Kyrgyzstan an Facetten. Leider ist es schwierig, von Karakol direkt in den Westen zu fahren. Vielleicht könnte man trampen – aber mir ist gerade nicht nach so viel Abenteuer. Und so nehme ich doch den Umweg über Bischkek, wo ich heute hinfahre.

 

Ich liebe inzwischen Cliffhanger, aber hierzu fällt mir wirklich keiner ein. Außer dass Überraschungen eigentlich dann auf einen warten, wenn man am wenigsten damit rechnet. Ob das auch für den Inhalt des nächsten Blogposts gelten wird?