Sary Chelek -> Osch – Unpässlichkeiten, Politik und ein Rummel

15. – 19. Juli 2023

 

 

Ich hatte einen Tag verlängert in Arkit, weil ich mich bisschen schlapp fühlte und die angenehme Abendluft genoss und überhaupt. Ich machte an dem Tag nicht viel, sondern spazierte nur ein wenig herum:

 

1

 

2

 

3

 

Ich hatte am Vorabend Kopfschmerzen, an diesem Abend ebenfalls und als ich am Morgen aufwachte, auch noch Gliederschmerzen in den Beinen. Trotzdem stieg ich in die Marshrutka, die mich in 6-7 Stunden weiter in den Süden nach Osch, der zweitgrößten Stadt Kirgistans bringen sollte. Die Fahrt zog sich und mir ging es immer schlechter. Mir war etwas übel, die Beine gliederschmerzten und ich fühlte mich etwas fiebrig. Außerdem fühlte ich mich sehr alleine und weit weit weg. 2 Std. vor Ankunft machten wir einen langen Halt, da irgendwas an der Marshrutka repariert werden musste. Es war heiß und mir war elendig und ich wartete unglücklich vor mich hin. Endlich konnten wir wieder in den Bus steigen. Neben mehr saß eine Frau, die mich besorgt anschaute. Ob es mir wohl nicht gut ginge? Nein – und schwupps fing ich an zu weinen. Sie maß meinen Puls: zu hoch. Sie redete mit den Leuten. Sie streichelte und massierte Hände und Gesicht/Kopf. Ah, bestimmt auch Kopfschmerzen. Ich müsse trinken. Sie kramte in ihrer Tasche und fand Brot. Und was essen. Dann kam jemand mit einer Tablette zurück: 1/3 bekam ich sofort, 2/3 für später eingepackt. Der Bus fuhr los. Sie drückte immer weiter an mir herum und maß den Puls. Der schien zu sinken.

 

Ich musste wieder weinen. So viel unerwartete Liebe! Und so viele angenehme Berührungen! Aber ich solle doch damit aufhören, das würde doch nur noch mehr Kopfschmerzen machen! Ich lächelte. Sie drückte und machte weiter. Und es ging mir besser und besser. Weggezaubert hat sie es nicht, aber mich wieder mehr stabilisiert. Und glücklich fühlen lassen: wieso war sie gerade in dem Moment da? Vom großen Reiseunglück in das größte Reiseglück gepurzelt. Sie sprach null englisch, ich kein russisch/kirgisisch und Übersetzungsapp auf Handy klappte auch nicht so. Trotzdem meine ich herausgefunden zu haben, dass sie pensionierte Ärztin ist (Orthopädie?) und 1 Jahr jünger als ich. Als sie nach meinem Bauch fasste, der auch weh tat, machte ich eine Bemerkung über den Schwabbel da. Sie lachte, sie habe da auch Schwabbel. Dann zeigte sie mir Bilder: ihr Mann habe den größten Schwabbelbauch. Und auf youtube gab es Filmchen, wo ihre Kinder am Armdrücken waren, offensichtlich erfolgreich. Ich konnte allerdings nicht viel gucken, dann wurde mir wieder übel. Sie tätschelte und drückte mich weiter und maß den Puls und war zufrieden. Vielleicht noch ein bisschen Brot? Und hier, ein Toffeebonbon! Der schmeckt? Und schwupps, hatte ich 10 davon in meinem Rucksack.

 

So verging die Zeit recht schnell und wir waren in Osch. Sie stieg aus und ich am Ende auch. Bzw. stolperte in die 36°C-Hitze. Aber immerhin so kräftig, dass ich sogar doch noch mit dem Taxifahrer handeln konnte. Ein sauberes großes günstiges Zimmer, eine angenehme Klimaanlage, ein Bett – mehr brauchte ich jetzt nicht. Meine Eigendiagnose: Störungen im vegetativen Nervensystem ausgelöst durch gewisse Elemente privater Natur, die ich hier jetzt nicht ausbreiten mag. Mein Leben war dieses Jahr bisher doch recht turbulent und nicht immer einfach – und das macht sich jetzt wohl bemerkbar. Aber so ist es nun mal – auch auf Reisen nimmt man sich ja immer als ganze Person mit allem drum und dran mit und spaltet manches nicht ab nur weil man woanders ist.

 

Hach!

 

Osch hat um die 350.000 Leute und liegt ganz nah an der Grenze zu Usbekistan. Hier wohnen auch sehr viele davon, ebenso wie KirgisInnen, RussInnen und Sonstiges, d.h. es ist recht bunt gemischt auf den Straßen. In diesem Teil sieht die Landkarte mit Kirgistan, Usbekistan und Tajikistan ziemlich zerfleddert und verwuselt aus. Grenzen wurden unter russischer Herrschaft in den 1920er Jahren gezogen und nach dem Zerfall der Sowjetrepublik beibehalten. Von den 970 km Grenzlinie zwischen Tajikistan und Kirgistan sind allerdings 400 km umstritten. Beide Länder ziehen Grenzziehungen aus verschiedenen Jahren heran. Einerseits gibt es diese offiziellen Grenzen, andererseits hat sich die dort lebende Bevölkerung üblicherweise untereinander geeinigt. Es geht in der Hauptsache um Weideflächen und Wasser/zugänge. Die Regierungen mit ihren Armeen sind da trotzdem manchmal zugange und kümmern sich nicht um bestehende inoffizielle Einigungen. Nachlesen kann man was in Wikipedia. Noch besser finde ich allerdings diesen Podcast – alles sehr gut erklärt! Jedenfalls sind die letzten sehr ernsten Grenzstreitigkeiten mit Toten kein Jahr her.

 

In Osch merkt man davon als Reisende eher nichts. Aber was man merkt ist, dass hier mal die Seidenstraße entlang führte und Osch eine Wichtigkeit hatte.

 

Statuen

 

Die Stadt ist zwar genau wie alle anderen eher sowjetisch-unschön, aber auch ein bisschen eigen. Viel habe ich allerdings nicht gesehen. Hitzebedingt gehe ich frühestens um 17:00 erst raus. Und viel sowieso nicht, weil ich mich ja gerade schone.

 

Ich bin dann aber schon losgelaufen und habe bisschen geknipst, was mir so auffiel.

 

Nachbarschaft

 

Automuster

 

Blumenrabattenmuster

 

große Wandmalerei

 

kleine Wandmalereien

 

Herumstehendes

 

Ich will noch ein paar Worte zur Politik hier verbreiten. Kirgistan galt lange als einziges demokratisches -stan-Land von der Ex-Sowjetunion, aber das bröckelt immer mehr. Durch Verfassungsänderungen häuft sich der Präsident Dschaparow immer mehr Macht an. Auf dem Demokratieindex hat Kirgistan inzwischen die Bezeichnung „autoritäres Regime“. Beim Freiheitsstatus, Pressefreiheit und Korruption findet man Kirgistan sehr in Bodennähe.

 

Ich bin noch in Babyschuhen was mein Wissen um postsowjetische Gebiete und ihre Entwicklung angeht. Und leider habe ich auch sowieso Schwierigkeiten, diese ganzen Zusammenhänge von Politik, Wirtschaft, Macht und Finanzen zu verstehen. Aber ich bemühe mich, bekomme manchmal Zipfelchen zu fassen und stehe dann wieder vor großen Rätseln. Was ich nicht wusste und was mich gerade (u.a.) beschäftigt ist, wieso und wie die jetzigen postsowjetischen Gebiete eigentlich damals von Russland einverleibt wurden. Und warum andere nicht. Die Einverleibungen geschahen zu Zeiten, wo man – wie ich las – gar kein wirkliches Nationalbewusstsein hatte. Also weder dass man selber nicht nur einem Klan, einem Ort, einer Gegend angehörte sondern mit anderen eine Nation bilden würde und dass man ein Bestreben haben könnte, diese Nation in einem (National)staat zusammenzufassen. Diese Denkweisen bildeten sich erst im 20. Jahrhundert aus und da gehörte man schon zur Sowjetunion. Und als man nach vielleicht durchschnittlich 70 Jahren daraus entlassen wurde und unabhängig war, war das alles nicht so einfach zu bewältigen.

 

Grenzziehungen hatten statt gefunden und es hatte sich auf Basis des Kommunismus eine völlig andere Gesellschaftsform und Lebensorganisation etabliert. Wie sollte man da seinen eigenen Weg finden, an was galt es anzuknüpfen? Die meisten Staaten hatten damit zu kämpfen, dass der Verwaltungsapparat massig Kosten verursachte, man aber nach dem Wegfall der „russischen Wirtschaft“ viel weniger Einnahmen hatte. Die Wirtschaft war zusammengebrochen, da die Handelslinien wegfielen. Man wusste nach dieser langen langen Zeit gar nicht, wie man auf eigenen Füßen stehen konnte und sich neu vernetzen. Manche wussten schon was und nutzten das aus mit den Folgen der Entstehung von Oligarchen und Korruption. Außerdem kam man schlecht von Russland los, das einem wenigstens gewisse bereits vorhandene Wirtschaftswege anbot. Wie jeder dieser Staaten damit umging ist dann sehr spannend. Und dann gibt es ja auch noch das ganze andere Ausland – ob nun der Westen, China oder sonstwer, die sich involvierten.

 

Dieser gedankliche Ausflug ist vielleicht für viele Lesende schon lange Basiswissen – ich muss es mir neu erarbeiten und dabei hilft, es zu versuchen in eigenen Worten wiederzugeben. Und das landet dann in diesem Blog…..

 

Kirgistan hat sich schwer von Russland lösen können bzw. es bis heute nicht getan. Viele Handelswege existieren weiter oder haben sich neu gebildet. Aber es sind nicht nur Waren sondern auch Menschen, die diese Beziehungen lebendig halten. Rund 25% des BIP stammen von Geldüberweisungen der kirgisischen Gastarbeiter, die sich überwiegend in Russland aufhalten. Da muss man sich weiterhin um gute Beziehungen bemühen. Bereits in Georgien bekam ich mit, welche Rolle ein postsowjetischer Staat bei der Umgehung von westlichen Sanktionen bzgl. des Ukraine-Krieges in Bezug auf Russland spielen kann. Kirgistan ist – laut der Washington Post – auch heftig involviert insbes. im Handel von Kriegsgerätzutaten. Puh, ist das alles verwickelt! Und wenn ich jetzt noch einwerfe, dass mindestens Osch eine gewisse Rolle im Drogenhandelsgeschäft spielt…..

 

Zeit es ruhen zu lassen und einen Rummel zu besuchen! Der ist fest installiert in Osch und ganz schön groß. Ich bin da einen Abend durchgeschlendert, hier meine Bilder davon:

 

1

 

2

 

3

 

4

 

5

 

6

 

7

 

8

 

9

 

10

 

Es war schon etwas mehr los, aber ich neige wohl dazu, gerne die einsameren Momente zu fotografieren.

 

Ich hatte eine ruhige Zeit in Osch, aber es drängt mich nun doch, weiterzuziehen. Ich bin gesundheitlich noch lange nicht wirklich fit, es hat sich auch noch ein Durchfall hinzugesellt, aber so nett meine Unterkunft hier ist, ich will unbedingt noch die südlichen Alai-Berge sehen und die Zeit drängt etwas….. Ich werde es mir aber etwas bequemer gestalten als ursprünglich gedacht.