Ushguli – Swanetien, Tourismus und Glückslandschaft

5. Juni 2023

 

 

Im vorherigen Post verkündete ich, mehr über Swanetien schreiben zu wollen. Und jetzt stehe ich vor dem Problem, eine riesige Masse Infortmation weiter zusammen zu sammeln, zu verdauen und geordnet wiederzugeben. Was ich nicht schaffen werde. Aber vielleicht klappt ein Post mit der Schilderung des Ushguli-Tages. Ushguli liegt am oberen Ende von Oberswanetien, 43 km von Mestia entfernt. Dort endet die Straße und auch der Trek von Mestia aus. Außerdem hat es den UNESCO-Welterbe-Status. Also musste ich hin und mal schauen.

 

Ich trat auf die Straße, ein Kleinbus hielt, eine Chinesin schaute heraus und rief „Ushguli, Ushguli“ und ich sprang in den Bus hinein. Sie waren zu dritt und hatten einen Fahrer gefunden, der aber erst noch weitere Leute aufgabeln wollte. Dafür fuhren wir durch den Ort und fanden ein Paar, welches zu einem anderen Ziel wollte. Da sie zahlten, fuhren wir dorthin und ich bekam quasi umsonst eine Besichtigungstour in ein Tal hinein.

 

Pferde anbei

 

Die Sonne schien, es fand sich dann noch ein weiterer asiatischer Passagier und wir starteten nun wirklich. Auf dem Weg gibt es eine Sehenswürdigkeit: Den Tower of Love

 

Tower of Love

 

Die Legende sagt, dass es mal eine schöne Frau namens Miaguli gab. Die traf während eines Festivals den geübten Jäger Otia – und schwupps, beide voll verknallt. Leider gab es einen Haken: Otia war schon verheiratet und hatte 5 Kinder. Otia war furchtbar betrübt, musste aber natürlich weiter jagen gehen und dabei fiel er ganz unglücklich in einen Fluss und starb. Seine Frau konnte das Leben ohne ihn nicht ertragen und sprang ebenfalls in den Fluss und starb. Die beiden verwandelten sich in Forellen. Miaguli tat das alles furchtbar leid, sie überredete ihren Vater, ihr einen Turm zu bauen (diesen) und lebte dort für den Rest ihres Lebens und fütterte die Fische. Bei Niedrigwasser taucht eine Quelle unter dem Felsen auf – es heißt das sind Miagulis Tränen. Seufz seufz….

 

Die Straße ging durch eine Schlucht und wurde schlecht. Es gibt hier Erdrutsche und so und ich hüpfte auf meinem Sitz wie auf den „schönsten“ Strecken in Nepal.

 

Straße kaputt

 

Und dann waren wir in Ushguli. Es liegt am Ende der Schlucht auf über 2.100 m und ist durch Winterschnee auf der Straße oftmals abgetrennt. Es gibt 4 Ortsteile und ca. 200 Leute, die hier leben. Der Ortsteil Tschaschaschi ist seit 1996 UNESCO Welterbe und steht damit als touristisches Highlight für eine Georgienreise bei Vielen auf dem Programm. Gefühlt waren 90% der dortigen Touris aus Asien oder Deutschland. Ich zitiere der Einfachheit halber aus Wikipedia: „Nach Einschätzung der UNESCO-Kommission repräsentiert Uschguli einen Kulturraum, in dem sich die Bauweisen der Verteidigungstürme und anderer, auch sakraler Bauwerke mittelalterlichen Ursprungs auf einzigartige Weise mit einer beeindruckenden authentischen Berglandschaft verbinden (Kriterium IV) und sich dank traditioneller Formen der Landnutzung bis heute erhalten haben. Diese sei eng verbunden mit weiteren authentischen Merkmalen traditionellen swanischen Lebens (Kriterium V) und garantiere den Erhalt der bestehenden Mensch-Umwelt-Beziehung. Weiterhin wird die Beschränkung auf lokales Baumaterial (Steinplatten aus Schieferbruch) und traditionelle Handwerkstechniken hervorgehoben – hierbei sind mit insgesamt 200 gezählten Gebäuden mittelalterlichen Ursprungs auch die weiteren Ortsteile Uschgulis einbezogen.“

 

Dieses bringt Probleme mit sich. Die Menschen sollen ja da leben und ihren ursprünglichen Lebensstil weiter führen. Allerdings sorgt der nicht für gutes Einkommen und so hatten viele Familien das Dorf verlassen. Durch den Tourismus gibt es Möglichkeiten, Zusatzgeld zu verdienen. Manche haben die baulichen Möglichkeiten dazu, müssen aber aufpassen, dass nicht zu sehr umgeändert wird. Manche bauen an den Rändern Neues, müssen aber auch aufpassen, dass es nicht überhand nimmt. Und dann gibt es noch die Abgewanderten, die zumindest für die Saison zurückkehren um Tourismus-Geld zu verdienen. Diese können aber – da nicht ganzjährig vor Ort – die ursprüngliche Lebensweise mit Land- und Viehwirtschaft nicht weiter führen. Große Konkurrenz hält die Übernachtungspreise zu niedrig. Es gibt somit jetzt mehr Ungleichheit im Dorf als früher und weiterhin keinen wirklichen Wohlstand. Und insgesamt ist es zu wenig Geld um die notwendigen (Bau)Erhaltungskosten im Sinne der UNESCO zu tragen – diese oder auch andere Stellen geben nämlich nix dazu. Und wenn man kein Welterbe mehr ist, ist man für viele Touris nicht mehr so attraktiv. Alles gar nicht so einfach. Es fehlt ein Plan für Alle und Zusatzgelder da es mit den bisherigen Verdiensten nicht wirklich zu stemmen ist.

 

So genau wusste ich es nicht als ich durch das Dorf wanderte. Aber mir war seltsam zumute, weil es so arm aussah und aber so viele Touris da waren. Diese waren übrigens hauptsächlich TagesbesucherInnen und ließen somit nicht so viel Geld dort – einzige Chancen: Restaurants und Pferderitte. Hier erstmal ein paar Bilder vom Dorf:

 

Ushguli bei Anfahrt

 

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Oberhalb des Dorfes ist eine Kirche, St. Lamaria. Zusammen mit dem nebenstehende Gebäude schaut es außerordentlich fotogen aus. Die Kirche selber ist nur das kleinere unscheinbare Gebäude, welches aber von Innen überraschend voll mit Bildern usw. ist.

 

Lamaria Variante 1

 

Lamaria Variante 2

 

Lamaria Variante 3

 

und mit TouristInnen davor

 

unscheinbares Außen

 

Innen 1

 

Innen 2

 

Innen 3

 

Innen 4

 

Hinter der Kirche öffnet sich eine phantastische Landschaft. Eigentlich sah es nach Nomadenland aus, aber es gibt da keine. Dafür ging mein Herz auf. Was für ein Anblick! Das hinter den Wolken ist über 5.000 m hoch. Ich ging das ganze ein Stückchen lang – die Tour bis zu einem Gletscher war nicht zu schaffen, da hätte ich eher kommen oder übernachten müssen. Aber ein bisschen gehen war auch schon toll. Manche wollten das nicht und auch sowieso weiter in das Tal hinein, die nahmen ein Pferd. Hier kommt jetzt einfach eine Bilderreihe diverser dort entstandener Fotos.

 

ich vor Glückslandschaft

 

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Die hohen Schneeberge sind übrigens die Grenze zu Russland. Auf dem Rückweg traf ich dieses Gespann – Opa führt Enkel auf Pferd zu einem Spaziergang herum.

 

Opa und Dreijähriger

 

Spazierrittgang

 

und ein drittes Bild

 

Einige Leute waren mit der Landwirtschaft beschäftigt, die ja unbedingt erhalten bleiben muss. Es gab auch eine Schaf-Ziegenherde und Kühe zu sehen.

 

Äcker

 

Wer sich für das Thema Svanetien insbesondere im Wandel der Zeiten und in Konfrontation mit der Moderne und dem Tourismus interessiert, wird hier mit vielen Artikeln fündig: https://stefan-applis-geographien.com/

 

Rückfahrt

 

Swanetien ist jetzt nicht nur speziell wegen dieser alten Dörfer mit Wehrtürmen sondern noch mehr durch die einzigartige Kultur. Wobei das jetzt alles nicht so einfach zusammen zu fassen ist, da die Regionen innerhalb Swanetiens unterschiedlich sind und auch unterschiedliches durchmachten.

 

In Mestia konnte man einen Film „Dede“ sehen, was ich tat. Hier ist der Trailer auf Youtube

 

Filmplakat

 

Der Film ist von 2017, spielt aber zur Zeit des Bürgerkriegs 1991-93. Die Männer aus der Region kehren zurück. David nimmt seinen neuen Kumpel Gegi zuerst mit in sein Dorf, da dieser ihm das Leben gerettet hat. Er ist verlobt mit Dina und will sie jetzt heiraten. Dina will ihn aber nicht heiraten, sie hat ihn nie geliebt. Außerdem hat sie bei irgendeiner Gelegenheit vorher jemanden gesehen und sich spontan voll verknallt. Er auch. Es stellt sich raus, dass es Gegi ist. Sie verweigert also die Heirat, David und seine Familie und auch ihre Familie sagen, das geht auf keinen Fall, es ist vereinbart, Frauen haben sowieso nix zu sagen, es ist gegen die Ordnung und so startet dann ein Drama voller Ehre, Tod, Stolz und Tradition.

 

Außerdem zeigt der Film ein wenig die harte Lebensweise und den Schnee. Die Swanen haben ein eigenes Rechtssystem mit Gemeinschaftsversammlungen, Ältestenräten und Mediationsgerichten ohne staatliche Obrigkeiten. Das wollten die russischen Eroberer ändern – aber der Weg in die hohen Bergtäler ist weit und die Swanen widerständig. Geurteilt wird aufgrund von traditionellem Rechtsverständnis, eingebunden in die praktischen Handlungen des Alltags. Wertvorstellungen, soziale Rollen, Religion und die Moral bieten den Rahmen. Man hat genaue tradierte Vorstellungen, wie etwas zu sein hat – das gibt es auch in dem Film zu sehen. Und dann ist noch spannend, wie Religion wahrgenommen wird. Eigentlich sehr christlich haben sie hier aber auch noch Anknüpfungen an andere spirituelle Vorstellungen insbesondere von den Toten, die auch noch in das jetzige Leben hineinreichen. Ausführlicher kann man das neben den Artikeln von Stefan Applis auch auf Wikipedia nachlesen (wobei ich vermute, dass ein großer Teil dort von ihm stammt).

 

Hier möchte ich damit schließen, dass ich viel zu wenig mit den Menschen direkt geredet habe, ich war u.a. zu sehr mit der Hundeattacke beschäftigt. Aber es ist insgesamt schon alles spannend und natürlich auch, wie der Wandel in die Moderne sich vollzieht. Und für mich schon auch immer sehr spannend, wie das dann mit dem Tourismus ist.

 

Den Film fand ich jedenfalls einerseits furchtbar, weil diese Traditionen meinen eigenen Lebensvorstellungen so gegen den Strich gehen, andererseits gut, weil er sehr deutlich gezeigt hat, wie das Leben für Menschen mit anderen Vorstellungen ausschaut.

 

Fahrtbild

 

Und dann verließ ich Swanetien und landete wieder in einem ganz anderen Teil der georgischen Welt…..