Reiserest – Verknäulungen, Schnupfen und Tränchen

04. – 08.10.2022

 

 

Mir ist etwas passiert, was mir seit Jaaahren nicht mehr passiert ist. Ich habe kaum noch fotografiert. Dabei ist das Land doch voller Motive! Aber ich hab nix mehr gesehen. Hab nicht mehr danach gucken wollen. Auch während der Reise hab ich wenig Blick und Muße gehabt. Jedenfalls so im Vergleich zu sonst. Ich bin von mir verwirrt. Aber so erzähle ich eben den Reiserest.

 

Wie schon so oft kalkulierte ich die Fahrzeit schon wieder nach Kilometern (ca. 140) – und rechnete nicht mit indischen Stauverknäulungen. Es gab eine Strecke von ca. 10 km zwischen Übernachtung und Rishikesh, da standen fast alle Autos bzw. manche versuchten, aneinander vorbei zu kommen und andere schossen sofort wieder in vermeintliche Lücken hinein. Und so verknäulten sich Fahrzeuge und brauchen immer viel länger, bis sie sich wieder auflösen als würden sie einfach paar km mehr in einer ordentlichen Schlange stehen. Aber das haben wir ja sowieso schon gelernt: indische ordentliche Schlange existiert nicht. Man könnte dran verzweifeln. Man könnte sich aber auch auf dem Motorrad zurücklehnen, zu lachen anfangen und sich freuen, dass Menschen woanders so anders sind.

 

Was allerdings beschwerlich war: das ständige Schwitzen und wieder abkühlen – und in Rishikesh hatte ich dann auch einen dicken Schnupfen. Binodh lieferte mich ab, ich sank auf eine weiche saubere Matratze und schniefte die halbe Klopapierrolle voll. Er selber musste loseilen – in Sikkim wartete die nächste Kundschaft. Rishikesh ist ja Yoga und Ayurveda und so – und so erstand ich ein ayurvedisches Nasenspray, welches gar kein Spray sondern Öl war und nix brachte. Bis ich es dann am nächsten Abend aus Versehen in etwas hoher Dosis nahm, es mir gefühlt die Nase verbrannte – und dann war der Schnupfen vorbei! Tolles Zeugs! Aber bis dahin passierte noch ein bisschen was.

 

Rishikesh

 

Ich hatte also 1,5 Tage noch in Rishikesh an denen ich fast nix tat – und machte mich dann per Taxi auf zum Bahnhof. Hinfahrt 45 min auf 27 km. Rückfahrt 2,5 Std. vorher gestartet – und fast den Zug verpasst! Sie haben sich schon wieder verknäult, diese Fahrzeuge! Aber sowas von! Und hätte mein Fahrer nicht dabei mitgetan – ich glaube, dann hätte ich noch 2 weitere Stunden gestanden. Und es war so heiß und der Schweiß tropfte mir überall herunter.

 

Verknäulungen

 

Ich erreichte also meinen Zug in Haridwar, Prashant hatte es gut mit mir gemeint und trotz meiner Proteste AC gebucht – und genau da war auch meine Liege. Ich mummelte mich dick in die Decken und versuchte, dem eiskalten Gebläse direkt neben mir zu trotzen. Fazit: jetzt hatte ich auch noch Husten. Und Mitleid meiner Mitreisenden. Man reichte mir eine ayurvedische Lutschtablette. Die war auch super, aber ich habe in Delhi auf die Schnelle keinen Laden für Nachschub gefunden.

 

AC-Liegewagen

 

Zugspiegel

 

Ach ja, in Rishikesh war ich auch noch beim Friseur. Straßenfriseur ohne Laden. Perfekter Schnitt in 10 min. 1,50 Euro. Ich liebe indische Friseure! Auch weil sie mir lakonisch einen Herrenschnitt verpassen, den ich ja haben will.

 

Am Bahnhof in Delhi gab es wieder den Klassiker von zig Taxi- und Tuktukfahrern, die mich in ihr Gefährt unter Versprechung bester Preise ziehen wollten, aber ich blieb standhaft am Prepaid-Stand stehen bis der Beamte kam und die, die mit tollen 400 INR Angeboten um sich warfen verkrümelten sich ganz schnell – die Fahrt kostete 160 INR. Mein diesmaliges Ziel in Delhi: Cousin Soenke! Der wohnt da schon seit 3 Jahren und ich hatte ihn noch gar nicht besucht. Auf der Hinreise war er in Australien bei einer Konferenz, jetzt war er hier und hieß mich willkommen in seinem sauberen, ruhigen und schönem Heim in Chanakyapuri, wo er mit seiner Frau lebt, die aber gerade in New York war. Das war für mich auch eine neue Erfahrung. Also nicht nur meinen Cousin woanders als in D zu treffen sondern auch diese ganzen Umgebung im Diplomatenviertel etwas mitzubekommen.

 

Wir speisten, wir erzählten, wir ruhten, wir schliefen – und am nächsten Morgen hatte ich zwar Schwierigkeiten mich aufzuraffen, aber doch noch eine Verabredung. Und zwar war vor Abreise durch die sozialen Medien ein Spendenaufruf gegangen bzgl. eines der Ex-Kamerakidz aus Zanskar. Dem ging es richtig richtig schlecht und er musste in ein gutes Krankenhaus nach Delhi geflogen werden, wo er schon 4 OPs hinter sich hat und 5 Tage davon im ladakh. Viertel ausruhte. Er hat einen dabei, der sich um ihn kümmert, dem seine Tochter ist Krankenschwester in Delhi und sie empfingen mich in einem kleinen Raum, wo er in einem Bett lag. Ich möchte mich hier noch mit einigem bedeckt halten (Diagnose usw.), aber trotzdem davon erzählen.

 

Ex-Kamerakid

 

Er ist sogar nicht nur „irgendein Kamerakid“, ich bin ihm viele Jahre begegnet und habe ihn als einen ganz lieben und fleißigen Jungen kennengelernt, der auch noch wahnsinnig berührend singt. Und dann dieses dünne Elend – 37 kg wiegt er und ist eher 20 cm größer als ich. Im Prinzip ist es in Indien mein dritter heftiger Krankenbesuch – viel mehr als in Deutschland. Früher habe ich mich vor solchen Besuchen gefürchtet – und auch jetzt fällt es mir ziemlich schwer. Am liebsten würde ich sofort in Tränen ausbrechen. Aber die Tränchen hab ich dann für später nach innen geschluckt und versucht, aufmunternd zu gucken. Der Besuch hat mich emotional ein bisschen durchgeschüttelt – und ich bin froh, ihn gemacht zu haben.

 

Dann zurück zu Soenke und er hat mir etwas sein Viertel gezeigt, wir haben Kaffee getrunken (bzw. frischen O-Saft! Mit Keks!), zu Abend gegessen, Familiengeschichten aufgearbeitet – und als es Zeit für mein Flughafentaxi war, war ich voller Widerstände. Ich wollte nicht. Ich hatte quasi „mein Indien“ wiedergefunden mit diesen eckigen, unbequemen, verrückten Menschen, den ganz lieben Verbindungen mit ehemals fremden Menschen, aufgefrischten Bekanntschaften und überhaupt. Fast-Tränchen-Abschied. Ich hoffe, ich komme schneller wieder als nochmal 3,5 Jahre verstreichen zu lassen.

 

Kaffee und O-Saft und Cousin

 

ich, Abendessen + Cousin

 

Shopping Mall mit kyrillischen Buchstaben

 

Baumtempelchen

 

Soenke kann übrigens wunderbare Geschichten aus seinem Viertel erzählen. Neben dem Baumtempelchen eröffnete ein Alkoholausschank und war voll beliebt und erfolgreich – bis jemand feststellte, dass das nicht geht neben einem Baumtempelchen und dann musste er wieder schließen.

 

Es wird noch zwei weitere Blogbeiträge geben – einmal über das Reisen mit Binodh und einmal über das Reisen in Uttarakhand. Also gespannt bleiben!