Tskaltubo – zwischen Urbex und Dark Tourism

9. Juni 2023

 

 

Tskaltubo ist ca. 15 km von Kutaisi entfernt. Dort gibt es leicht radioaktive Thermalquellen. Bereits im 19. Jahrhundert als Heilbad gestartet, wurde es in der Sowjetzeit als eines der größten Kurorte ausgebaut. Es gibt einen sehr großen Park in dem auch wenige Sanatorien und Heilbäder direkt angesiedelt waren und sehr viele oftmals sehr große Sanatorien und Erholungsheime drum herum. Diese Gebäude entstanden Mitte des 20. Jahrhunderts im neo-klassizistischem Stil, d.h. grandios, opulent, verziert und im Gegensatz zur anderen sowjet-brutalo-beton-Architektur sehr schön anzuschauen.

 

Dieser ganze Heilbadtourismus in der Sowjetunion (siehe auch mein Besuch im Sanatorium Goluboi in Kirgistan) wurde auf Staatskosten finanziert und diente nicht nur der körperlichen Erholung und Heilung sondern war auch verbunden mit Bildung und Kultur. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion brach auch der Heilbadtourismus zusammen und die ganzen großen Gebäude standen leer. Durch den Konflikt in/um Abchasien seit Anfang der 1990er Jahre gab es Unmengen von Geflüchteten, die in Georgien Zuflucht suchten. Man quartierte sie in leerstehende Gebäude ein, oftmals ungenutzte alte Hotels und eben auch Sanatorien u.ä. Das hatte ich schon 2008 in Tbilisi und Borjomi gesehen. In Tskaltubo lebten und leben noch viele dieser Menschen in prekären Lebensumständen in großer Armut. Auch hier hilft Stefan Applis mit Informationen weiter, z.B. in diesem Artikel.

 

Wohnungen

 

Es gibt neben den für Geflüchtete genutzten Gebäuden/Gebäudeteilen aber auch sehr viel verfallender Leerstand – eine Art Eldorado für Urbex-Fans, d.h. für Leute, die gerne in nicht mehr genutzten Industrieanlagen und anderen verlassenen Gebäuden herumgucken. Und so war auch ich neugierig, wie dieser Ort nun aussah und was es alles zu entdecken gab.

 

Ich muss gestehen, dass ich bei der Vorab-Info das mit den Geflüchteten irgendwie nicht wirklich überlesen habe, aber es als quasi nebensächlich im Hinterkopf notierte. In Wirklichkeit nahm die Auseinandersetzung damit aber einen großen Raum ein. Ich erzähle jetzt einfach der Reihe nach, was ich dort erlebte.

 

Zuerst guckte ich in Sanatorium No. 6, das ist ein großes Sanatorium im Park, welches weiterhin als Sanatorium dient. Ich weiß nicht, wieviele Gebäudeteile wieder hergerichtet sind, ich bin nur in die Eingangshalle, die wie ein fast normales Hotel aussah und wo sich auch Gäste aufhielten. Da mochte ich gar nicht weiter neugierig herumschauen und dachte, dass ja noch viel mehr woanders zu entdecken sei. Gegenüber dem Park kam ich zu einem großen Gebäude, wo offensichtlich viel verfallen war, wo aber in Teilen noch eindeutig Menschen lebten. Ich guckte ein bisschen rum, es war mir aber auch unangenehm quasi deren Armut zu besichtigen. Von dem bisschen hab ich aber Fotos gemacht:

 

großes Haus

 

Eingang

 

Drinnen

 

Erdgeschoss – unbewohnt

 

1. Stock, evtl. bewohnt

 

Grillplatz

 

Hinterseite

 

Danach dachte ich mir, dass ich doch besser gezielt nach alten Sanatorien schauen sollte und begab mich zu einem unbewohnten, wo so einige Touris glücklich herumknipsen sollten. Ich war tatsächlich nicht allein, aber die Anderen waren unter 10 Leuten.

 

Front

 

Dieses Sanatorium war sehr prachtvoll und groß. Allerdings konnte man nur in diesen Teil oben und den rechten Teil, der linke weitaus größere Teil wurde von einem kläffenden Hund bewohnt. Hier meine Impressionen:

 

Aufgang

 

Säulenhalle

 

Säulen von weiter oben

 

Gang

 

von Hund bewachter Teil

 

Das nächste Sanatorium wurde in einem Flügel bewohnt. Eine Frau schaute dort aus ihrem Fenster und verlangte Eintritt. Vielleicht wäre das in Ordnung gewesen, aber ich mochte ihre Art nicht und so verzichtete ich.

 

Sanatorium mit Eintritt

 

Einige der Sanatorien sind inzwischen gekauft worden und werden wieder hergerichtet. Hier ist so eine Baustelle:

 

Umbau

 

Eingangsteil

 

Bei zwei anderen Sanatorien waren keine Bautätigkeiten zu sehen, aber große Umzäunungen verwehrten den Eintritt:

 

nicht zu besichtigen

 

Es war Mittag und ich dachte schon, dass ich eigentlich ganz schön wenig gesehen hatte.

 

Mittagspause

 

Dann fand ich aber doch noch ein sehr großes Ex-Sanatorium zum lange herumschauen. Es hatte alte prachtvolle Räume und einen sehr großen Teil, wo Geflüchtete gelebt hatten. Evtl. ist es noch gar nicht sooo lange her, dass sie den Ort verlassen hatten, es gab noch so einige Hinterlassenschaften zu sehen. Hier erstmal viele Bilder davon:

 

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Dieser Besuch hat bei mir einiges an Emotionen ausgelöst. Primär war weiterhin meine Hunde- (und Schlangen)Angst da, so dass ich die ganze Zeit angespannt war. Dann habe ich keine Idee dazu bekommen, wieso die Sowjetunion so wundervolle Bauten errichten konnte und andererseits aber auch diese ganz vielen furchtbaren. Eine gewisse Schönheit ist mir doch immer sehr wichtig. Aber am meisten haben mich diese verlassenen Geflüchteten-Räume berührt. Ich versuchte mir ihr Leben vorzustellen. Hatten sie Strom? Wo haben sie sich gewaschen? Wo und wie wurde gekocht? Wie haben sie sich warm gehalten im Winter? Das war nirgendwo ersichtlich. Warum wurden Sachen zurück gelassen und wieso so viel zerstört? (z.B. viele Matratzen, Quilts usw.) Und wie lebt man eigentlich als geflüchteter Mensch hier – hofft man auf Situationsbesserung und Rückkehr? Guckt man einfach nur von einem auf den nächsten Tag? Macht man Pläne?

 

Es gibt den Begriff des Dark Tourism, d.h. man schaut sich quasi das Elend woanders an. Das hat zum einen Teil etwas widerwärtiges, andererseits macht es aber auch Sinn sich mit den Schattenseiten eines Landes zu beschäftigen in dem Versuch, besser zu begreifen. Und hingehen statt lesen oder so macht nochmal was anderes mit einem. Aber es ist auch doof, sich Elend oder Probleme einfach nur anzuschauen. Mir ist es schon öfters passiert dass ich an Elendsorten war. Und immer ratlos – und trotzdem hat es mich auch um die Realitäten Anderer bereichert.

 

Zum Abschluss sah ich noch Heilwasser – vermute ich jedenfalls. Stand nix dran und Leute waren auch nicht da.

 

Heilwasser

 

Und das Badehaus No. 8. Das hätte ich ja sehr gerne mal in Betrieb gesehen! Ob da in jeder Wanne jemand saß? War überall dasselbe drin?

 

Badehaus Nr. 8

 

Badewannen?

 

Müll

 

Auf der Rückfahrt ist mir noch was Feines passiert. Marshrutka-fahren kenn ich ja schon, ist einfach, der Fahrer sagt was es kostet und man gibt. In Kutaisi musste ich noch was weiter fahren und da hielt gerade ein Bus, 2 Touris mit Rucksäcken sprangen rein, ich hinterher. Dann rumgefragt: ja, fährt zum Zentrum. Aber Problem: wo zahlt man eigentlich was? Der Fahrer wollte nichts. Es gab komische Automaten mit Wifi-Zeichen drauf und einen, der eher wie ein Abstempler aussah. Eine nette junge Dame klärte uns auf: man kauf woanders eine Karte und hält die vor das Wifi-Zeichen und dann wird abgebucht. Ja, aber was machen dann so erst- und einmalig Fahrwillige wie ich und die anderen? Schulterzucken. Kurzes Überlegen. Ach, ich nehm euch einfach auf meiner Karte mit! Sie hielt sie 3 x vor das Wifi-Zeichen und wollte kein Geld von uns. Na, war das nicht nett?

 

Damit war meine Zeit hier vorbei und ich wechselte wieder woanders hin.